„Kuss- und Kampfkorsagen”
von Hanne Hieber
ObjektKünstlerin, Schmuckerfinderin und Frauengeschichtsforscherin
Zöpfe haben mich schon immer fasziniert, als Frisur wie als Backwerk und
als Stoffzopf. Zöpfe waren noch in den 1950er Jahren auf dem Land eine
übliche Mädchenfrisur, auch wenn die Haare so dünn waren wie
meine und nur ganz dünne Dinger vor den Ohren herumhingen. Lieber
hätte ich so schöne dicke sexy Zöpfe gehabt wie Nscho Tschi
oder Ribannah in den Karl-May-Filmen. Meine Oma backte häufiger
Hefezöpfe, die es mit Marmelade bestrichen zum Sonntagsfrühstück
gab. Meine in der Trikotindustrie tätigen Eltern erhielten Stoffreste von
ihren Firmen, flochten und nähten sie zusammen zu Bettvorlegern. Inzwischen
weiß ich, dass in früheren Kulturen Zöpfe häufiger getragen
wurden, von Männern wie von Frauen. Meine Stoffreste wollten verarbeitet
sein und gerieten zunächst zu Fenstervorhängen. Als ich von Barbara
Linnenbrügger zum Titelkunstwerk aufgefordert wurde - weil mir, zu Besuch
im Odenwald, der Ausstellungstitel „küssen und kämpfen” eingefallen
war, dauerte es eine Weile, bis die Zopfvorhänge sich zu den Kuss- und
Kampfkorsagen entwickelten. Es sollten eigentlich fantasievolle Rüstungen
sein, wie sie Keltinnen, Germaninnen oder Römerinnen getragen haben
könnten, wären sie Kriegerinnen gewesen. Die Rüstungen sehen
aber wie Korsetts aus. In der Geschichte haben Frauen ihren Körper
häufiger traktiert, um die jeweils aktuelle Idealfigur zu erreichen. In
Korsagen haben sie an den Königshöfen ihre Form von Kampf gekämpft
- um Liebe, um Macht und Einfluss.